Sonntag, 28. Oktober 2012

Per Anhalter durch den wilden Westen

Da es selbst in einer geführten Gruppentour nicht mehr möglich ist in die chinesische Provinz Tibet einzureisen, da China die Provinz für Ausländer gesperrt hat nachdem sich erneut Menschen aus Protest auf offener Strasse verbrannt haben, hieß es einen Plan-B zu entwickeln.

Aber fangen wir von vorne an.

In Shangri-La, einem angeblichen Paradies das aber keines ist traf ich Braden ein lustiger Kerl aus Kanada.
Als wir zusammen zu Abend gegessen haben machte er mir die Idee schmackhaft mit ihm zusammen den Westen der Provinz Sichuan zu bereisen.
Das besondere daran ist, das dieses Gebiet nahezu unerschlossen ist und es zum tibetischen Kulturkreis gehört.
90 Prozent der Einwohner sind Tibeter; Häuser, Kleidung, Verhalten, Sprache, Glauben; dies alles beruht auf tibetischem Ursprung.
Wir hörten zuvor von Reisenden die aus dieser Gegend von der Polizei direkt wieder zurückgeschickt wurden, manchmal konnte man als Ausländer nicht einmal ein Busticket für diese Gegend kaufen.

Am nächsten Morgen ergatterte ich dann das allerletzte Busticket ins 10 Stunden entfernte Xiangcheng.
Die Bustour selbst wurde nach ungefähr 6 Stunden für mich bis dahin ungewöhnlich ungemütlich. Straßen wurden zu dem schlimmsten gerade noch befahrbaren Untergrund den ich bis jetzt erlebt habe und das sollte die nächsten Wochen so bleiben. Da kommt auch Nordlaos nicht mit.

Xiangcheng selbst war dann für uns beide die Begegnung mit der tibetischen Kultur.
Die Leute tragen die traditionelle Kleidung, Häuser sehen aus wie in Filmen aus dem wilden Westen und überall wehen die farbenprächtigen Gebetsflaggen.
Als einzige Ausländer in der Stadt gehörte alle Aufmerksamkeit diesen 2 gutausehenden Westlern.
Zum gewohnten Dinner nahm die Schärfe des Essens ungeahnte Höhen an. Das Essen wird hier so scharf gewürzt, dass zusätzlich ein Gewürz benutzt wird das einem die Zunge betäubt damit der Schmerz nicht ganz so groß ist. Nach der ersten ungewohnten Erfahrung mit dem Essen kam ich nach und nach auf den Geschmack von widerlich scharfem Essen, so dass ich jetzt jedes Gericht als extra scharf bestelle. Vielleicht suche ich aber auch nur nach einer neuen Herausforderung.

Wie dem auch sei. Nach den ersten Bieren machten wir uns auf um die Strassen bei Nacht zu erkunden. In einem Hinterhof fanden wir dann tatsächlich , so ungewöhnlich es auch scheint, eine Art Disco. Nach 3 Minuten fanden wir uns an einem Tisch mit einer jungen tibetischen Clique wieder.
Dazu sei gesagt, dass man als Ausländer in einem chinesischen Club seine Geldbörse getrost zu Hause lassen kann. Entweder übernehmen die Locals oder der Club selbst (z.B. in Chengdu) die Rechnung.
Irgendwann zu später Stunde dachte ich mir, zeige ich mich als besonders guter Ausländer der die Kultur zu schätzen weiß.
Zum Anstoßen rief ich also ein lautes „Free Tibet“ aus!
Statt erwartetem Applaus und fröhlichen Gesichtern verstummten alle Gespräche und man sah sich ungläubig an. Bravo Sascha, wieder mal alles falsch gemacht was man falsch machen kann.
Braden fing dann schnell an über irgendetwas belangloses zu reden und mit dem nächsten Bier war mein Fehler auch vergessen.
Merke: Niemals öffentlich in China zur tibetischen Unabhängigkeit ausrufen!
Braden war dann etwas verwirrt als ihn einer der Tibeter beim Pinkeln zuguckte und ihn danach in den Arm nahm. Hehe, was habe ich gelacht. Die „Zuneigung“ die aber zur tibetischen Kultur gehört, da man einfach zeigt wenn man jemand mag, mussten wir erst lernen.

Am nächsten Morgen sollte es für uns weiter gehen nach Daocheng. Gute 4 Autostunden entfernt und damit ein perfektes Ziel um seit Malaysia mal wieder per Anhalter unterwegs zu sein. Schnell n' Stift gekauft und auf Pappe den Stadtnamen mit chinesischen Schriftzeichen dargestellt. Was die Einheimischen in Sekundenschnelle abliefern erscheint uns eher wie ein abstraktes Kunstwerk.

Nach einer amüsanten Stunde saßen wir in einem Minibus der uns kostenlos bis nach Daocheng mitnahm. Braden ist seit einem Jahr in China und selbst meine chinesischen Sprachkünste reichen mittlerweile aus um zurecht zu kommen was fürs Trampen natürlich super hilfreich ist.

Die Hotelsuche gestaltete sich dann etwas schwieriger als gedacht. Fanden wir anfangs kein Hotel das Ausländer beherbergen wollte/durfte, wurden wir in einem Gasthaus in einer Hinterstrasse fündig. Unsere Personalien wollte aber auch dieses Gasthaus nicht aufnehmen, bleiben durften wir trotzdem.

Die Polizeipräsenz in Westsichuan ist übrigens beinahe unfassbar. An jeder Ecke, in jedem dritten Auto und gerade an öffentlichen Plätzen findet man Unmengen Polizisten. Böse guckend und mit Kameras ausgerüstet würdigen sie einen keines Blickes. Dreht man sich nach einigen Metern um sieht man gerade die jungen weiblichen Polizistinnen jedoch immer wieder kichern und dann winken sie einem doch zu.
Wer als Kerl Probleme mit seinem Selbstbewusstsein hat, dem empfehle eine Reise durch China. Ich garantiere euch ihr geht mit erhobener Brust aus diesem Land wieder raus.

Nach einer entspannten Nacht mit ausreichend Schlaf führte uns der Weg weiter in den Nationalpark Yading. Seit 4 Tagen haben wir nun keinen einzigen Ausländer gesehen.
Wir vereinbarten einen Preis von 50 Yuan p.P. (6,20€) für die 3,5 Stunden Fahrt. Der 18-jährige Fahrer, der komplett geisteskrank auf dem besten Weg mit uns ins Jenseits war verlangte dann am Ende der Fahrt 60 Yuan. Nach Monaten des Reisens kennt man diese Masche ja bereits und tut das mit einem Lächeln ab. Aber nicht mit „Mr. Ich-bin-der-Boss“. Er bot uns die Stirn und fing an uns zu schubsen. Wir sahen vorher in seinem Wagen bereits die Machete liegen uns wurde wirklich mulmig zumal wir im Nirgendwo waren, er selbstbewusst und durchgedreht genug war um etwas dummes zu machen. Man ja nie weiß zu was der Typ fähig ist, zumal keiner unserer Angehörigen oder ein Hotel wusste wo wir uns befinden und uns erstmal keiner vermissen würde.
So absurd es auch ist doch um die 10 Yuan (1,20€) waren wir bereit dieses Risiko einzugehen. Fragt nicht warum, aber man lernt mit der Zeit sich nicht ständig verarschen zu lassen.
Wir gaben ihm jeder 50 Yuan. Als er sie nicht annahm uns uns wiederholt anschrie und schubste haben wir die 50 Yuan auf die Erde geschmissen, ihn weggeschubst und sind gegangen.
Affe!

Was dann folgte war ein grandioser Nationalpark für die nächsten 2 Tage. Hier kann man auch dem Lonely Planet danken, denn diese ganze Gegend wird im großen Lonley Planet China mit keinem einzigen Wort erwähnt und so trafen wir nur 2 Ausländer zwischen den ganzen Chinesen.
Ohne Unterkunft wollten wir heute auf 3900 Meter aufsteigen, da wir gehört haben es gibt dort ein tibetisches Kloster.
Gegend Nachmittag erreichten wir das Kloster. Obwohl es wieder mal an der Verständigung haperte wurde uns verständlich gemacht, dass wir jetzt keinen Schlafplatz bekommen. Wir sollen nach Einbruch der Dunkelheit wiederkommen.
Gesagt. Getan.
Jetzt sahen wir auch wieso. Das Kloster wird von der Polizei videoüberwacht und Kontakt mit Ausländern ist den Mönchen verboten. Wir wurden zwischen den Kameras vorbei geschleust und bekamen einen Schlafplatz in einem Bretterverschlag auf einer Art Holzerhebung. Die Nacht war trotz 4 „Pferdedecken“ bitterkalt. Da half es auch nicht, das wir alle unsere Sachen anbehielten, inkl. Schuhe, Jacke und Mütze.
Egal. Überlebt. Alles gut.

Am Morgen wachten wir dann zum Sonnenaufgang auf und erlebten einen wunderschönen Sonnenaufgang in Mitten der Berge und ganz allein.
Beeindruckend!

Der Aufstieg auf 4300 Meter war relativ leicht zu meistern bevor wir gegen Mittag mit dem Abstieg zurück in Richtung Dorf begannen.
Im Dorf angekommen bestellten wir uns in einem kleinen Restaurant etwas warmes zu essen. Wie in China üblich wird entweder Tee oder heißes Wasser zum Essen getrunken. Das heiße Wasser steht stets bereit in einer großen 3 Liter Thermoskanne.
Braden war so nett und wollte uns beiden etwas einschenken.

BUMM!

Das verdammte Ding ist, warum auch immer, beim Anheben geplatzt!
Das heiße Wasser läuft über sein Bein direkt in seinen Schuh. Vor Schmerzen schreiend reisst er sich die Hose vom Körper, während ich ihn mit Wasser aus meinem Rucksack übergieße.
Die herbeieilenden Locals kühlen meinen schockierten Kumpel weiterhin mit Wasser während ich draußen versuche ein Auto anzuhalten, das uns zu einer Apotheke bringen kann (1 Autostunde) und danach ins nächste Krankenhaus (3,5 Autostunden) zurück nach Daocheng.
Für 100 Yuan finde ich kurz später einen Fahrer.

Die Erlebnisse aus dem Krankenhaus würden diesen Bericht sprengen, aber 3 Wochen später hat sich Bradens Bein schon wieder fast erholt.

Wir blieben dann rund 5 Tage zur Erholung in Daocheng. Eine Selbstverständlichkeit, wie es jeder andere Backpacker auch machen würde, ließ ich ihn nicht „am Ende“ der Welt allein und spielte Krankenschwester für die die nächsten Tage.

Noch angeschlagen ging es dann per Anhalter weiter nach Litang. 4 Autostunden über eine relativ gut befahrbare Strasse.
Litang ist auf dem Sichuan-Tibet Highway ist mit 4019 Höhenmetern eine der höchstgelegenen Städte dieser Welt. Nur Peru und eine andere Stadt in China sind noch höher.
Mit Staublunge und schwerem Atem erkundeten wir diese tibetische Stadt auf einem Hochplateau von weitläufig umgeben von Bergketten.
Nach 2 Wochen im wilden Westen hatte man sich an fast alles gewöhnt. An alles außer eins. Stehklos! Mein Gott, wie ich diese Klos hasse.
Ein wunder das ich keinen doppelten Kreuzbandriss erlitten habe. Diese Klos sind echt der Horror und es ist auch kein westliches Klo zu finden. Die Erfahrungsberichte eines jeden einzelnen sind zum wegschmeissen, wie jeder auf seine Art versucht sich mit diesen Akrobatenklos anzufreunden.

Von der nun folgenden Strecke Litang nach Kanding haben wir einige Horrorgeschichten zu hört bekommen. Schlimmste „Strasse“ aller Zeiten, so hieß es aus aller Munde. Deshalb hielten wir es für die bessere Idee zur Abwechslung einen Bus zu nehmen. 12 Stunden Fahrt, davon einige Stunden im Schritttempo und eine gebrochene Felge später fanden wir uns in Kanding wieder. Die tibetische Kultur ist auch hier noch zu spüren, wenn auch weit aus nicht so intensiv und vielfältig wie zuvor.
2 Tage blieben wir bevor wir uns auf zur letzten anspruchsvollen Etappe nach Chengdu machten.
Für die Tagesetappe von 10 Stunden wollten wir es nochmal wissen und es per Anhalter probieren. Geschlagene 2 Stunden mussten wir warten bis ein SUV anhielt. 2 junge Tibeter, laute Technomusik und die komplette Fahrt nach Chengdu erwarteten uns.
Die Fahrweise würde ich dieses mal als tibetisch-normal betrachten. Überholen in Kurven, überholen da wo es mit menschlichem Verstand unmöglich erscheint, drängeln, pöbeln und wenn es keine Aussicht auf ein erfolgreiches Überholmanöver gibt einfach auf die Hupe steigen und Vollgas alles probieren. Unsere Gesichter schrieben Bände.
Verständlich das uns irgendwann die Polizei anhielt.
Unser Fahrer war anfangs noch optimistisch, dass er die Polizisten bestechen kann. Als diese jedoch uns, die Ausländer, im Fahrzeug erblickte gabs n' ordentlichen Strafzettel von 600 Yuan (~80€). Unser Fahrer zerknüllte den Strafzettel, sagte was auf chinesisch, grinste, drehte die Musik auf und ab gings wieder. :)
Nach gut 7 Stunden erreichten wir den Highway. Ein grinsen über Bradens und mein Gesicht. Die erste vernünftige Strasse seit 3 Wochen. 160 km/h. So schnell war ich vor knapp 8 Monaten zuletzt in Deutschland unterwegs. Ich hatte das Gefühl wir fliegen gleich. Braden gar war in seinem ganzen Leben noch nie so schnell unterwegs. Da weiß man die deutschen Autobahnen doch zu schätzen!
Er setzte uns an einer Bushaltestelle in Chengdu ab.
Die beiden Männer hatten unser Mittagsessen bezahlt, alle Mautgebühren, den Strafzettel und sind einen Umweg für uns gefahren, doch sie wollten kein Geld haben obwohl wir es mehrfach angeboten haben.
Tausendfach bedankt verließen wir erleichtert das Auto.

3 Wochen durch den wilden Westen, etliche neue Freunde, tausend neue Erfahrungen, Umgebung wie in einem Film und beinahe zu tränen gerührt genossen wir das Leben zurück in der Zivilisation.

Mc Donalds.
Friseur.
Rasur.
Westliche Toilette!!!
Clubs.
Warmwasser.
24 Stunden Strom.

Paradies, wir sind zurück!



Typisches tibetisches Wohnhaus
Auf dem Weg zum Ziel...
...weit ist's nicht mehr.
2 neugierige junge Mönche.
Straßenleben in Litang.
Ein Westler im Krankenhaus wird da schnell zur Attraktion. Das der 19-jährige "Doktor" nebenbei raucht ist hier eine Selbstverständlichkeit.
Auf dem Weg zum Kloster im Natinalpark Yading.

Einer der drei "weißen Berge".

Hochplateau Litang.

2 Stadtbekannte Cowboys und ein Local.
Ich will Zivilisation!

1 Kommentar:

  1. Eine Menge neuer Erfahrungen und Eindrücke gesammelt:Wow
    Und alles Gott sei Dank gut überstanden!Bis auf Braden sein Bein :-(
    Nun wird es Zeit für ein Friseur :-)
    Liebe Grüße
    deine Familie

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